Lebe Deinen Traum - oder: Was ist Generatives Coaching?

Harald Berenfaenger„Ihr seid unser Traum!“ ruft Robert Dilts. „Danke, dass ihr helft, unseren Traum wahrzumachen!“ Kurz vorher waren er und Stephen Gilligan wie zwei kleine Jungs im Konfetti-Regen herumgetollt. Zusammen mit den rund 70 anderen frisch zertifizierten „Practioners of Generative Coaching“ freue ich mich mit den beiden und begreife erst langsam, dass unsere Ausbildung nun wirklich zum Ende gekommen ist.

Von Mai 2016 bis Januar 2017 hatten wir in Köln an viermal vier Tagen eine Verabredung mit diesen zwei ganz Großen unserer Zunft: Robert Dilts und Stephen Gilligan. Dabei waren diese zwei Urgesteine des NLP lange getrennte Wege gegangen und hatten das, was sie gemeinsam in ihren „wilden“ Tagen in Santa Cruz, Kalifornien gelernt hatten, zunächst ganz unterschiedlich weiterentwickelt:

Stephen Gilligan trat in die Fußstapfen seines großen Vorbildes Milton Erickson und wurde ein bedeutender Hypnotherapeut. Milton Erickson war mit seiner damals sehr unkonventionellen Therapiemethode nicht nur richtungsweisend für das NLP, sondern auch für viele verwandte Coaching- und Therapieansätze wie z. B. das systemische und lösungsorientierte Coaching. Stephen Gilligan entwickelte Miltons Ansatz zur sogenannten „Generativen Trance“ weiter: Während Milton Erickson voll auf unser Unbewusstes als unsere wichtigste Ressource setzte, arbeiten in Stephens „Generativer Trance“ unser bewusster Verstand und unser Unbewusstes gleichberechtigt zusammen, um zu kreativen Problemlösungen zu kommen.

Robert Dilts ist der „Vater“ vieler bekannter NLP-Formate wie Meta-Mirror, Reimprinting und Sleight of Mouth. Am bekanntesten sind wahrscheinlich seine „Logischen Ebenen“, die in keinem NLP-Buch und keiner NLP-Ausbildung fehlen dürfen. Seine Methoden setzt er auf den unterschiedlichsten Gebieten ein: Schon früh arbeitete er mit NLP an Gesundheitsthemen. So half er seiner eigenen Mutter, ihre Krebserkrankung zu überwinden und weit über die Prognose ihrer Ärzte hinaus weiter zu leben. Gleichzeitig ist er ein gefragter Business-Coach, der schon viele Größen (nicht nur) des Silicon Valley gecoacht hat. Er hat ein besonderes Talent darin, „esoterisch“ anmutende Konzepte so zu formulieren, dass sie auch für gestresste Manager gut umsetzbar sind.

Als sich ihre Wege nach einiger Zeit wieder kreuzten, stellten Robert und Stephen fest, dass sie sich bei aller Unterschiedlichkeit doch im Kern sehr ähnlich entwickelt hatten. Das betraf vor allem die Basis ihrer Arbeit, ihre Werte, ihre tiefe Verpflichtung den Menschen gegenüber.

Ein Thema, das beide faszinierte, war die Heldenreise („The Hero’s Journey“). Wie der amerikanische Mythenforscher Joseph Campbell herausgefunden hat, sind die Geschichten, die wir Menschen uns seit Jahrtausenden erzählen, immer wieder Variationen ein und desselben Themas: Es ist die Geschichte des Helden, der seine Heimat verlässt, auf seiner Reise Abenteuer besteht, Hindernisse überwindet und schließlich den Drachen besiegt. Wenn er zum Schluss in seine Heimat zurückkehrt, ist er nicht mehr derselbe, der zu Beginn in die Fremde aufgebrochen ist.

alex rocaHeute wird in Hollywood kein Drehbuch geschrieben, das nicht implizit dieser Heldenreise folgt. Warum übt diese alte Geschichte bis heute eine solche Faszination auf uns aus? – Weil sich jeder von uns darin wiederfindet. Sie ist eine Metapher für menschliche Veränderung. Jeder(r) von uns befindet sich auf seiner/ihrer persönlichen Heldenreise und ist wahrscheinlich schon mehrfach dem Drachen begegnet. Dieser steht hier symbolisch für unsere inneren Hindernisse, unsere Lebensthemen. Aufmerksamen Lesern meiner Webseite wird nicht entgangen sein, dass mich die Idee der Heldenreise ebenfalls sehr fasziniert – mein Nachname verpflichtet! ;-)

Jede Heldenreise beginnt damit, dass der Held (oder die Heldin) einen Ruf hört, der ihn auffordert, sein altes Leben zu verlassen und etwas Neues auszuprobieren. Oft ignoriert der Held diesen Ruf zunächst, bis dieser solch einen starken Sog entwickelt, dass der Held gar nicht mehr anders kann, als ihm zu folgen. „Follow your bliss – Folge Deinem Glück“, sagte Joseph Campbell. Wer seinem Ruf – seiner Berufung – folgt, für den wird vieles leichter im Leben. Auch, wenn natürlich weiterhin Hindernisse zu überwinden sind…

Aus dieser Idee der Heldenreise entwickelten Robert und Stephen ein erstes gemeinsames Coaching-Konzept. Daraus entstand im weiteren Verlauf das Zertifizierungsprogramm „Generatives Coaching“, mit dem sich die beiden auf ihre persönliche Heldenreise um die Welt begaben. Die ersten Stationen waren Paris, London, und Tokyo. Es folgte unsere Ausbildung in Köln, gefolgt St. Petersburg, Barcelona und wer weiß was noch alles auf dem Weg liegt…

Aber was ist nun Generatives Coaching? Aus den Lebenswegen dieser beiden Menschen ist etwas ganz Eigenes entstanden. Es vereint die Wurzeln des NLP mit vielen anderen Einflüssen, wie eben der Idee der Heldenreise, aber auch fernöstlichen Philosophien wie Buddhismus und Aikido, und den neusten Erkenntnissen aus Gehirnforschung und Kybernetik. Wie kommt das alles zusammen? – Hier ein paar Schlaglichter:

  • „Generativ“ heißt kreativ, schöpferisch. Es geht darum, etwas zu erschaffen, was vorher noch nie da war. Wer sich generativ coachen lässt (oder coacht…), betritt keine ausgetretenen Pfade, sondern geht dahin, wo möglicherweise vor ihm oder ihr noch keiner war.
  • Aus diesem Grunde gibt es oft noch kein konkretes Ziel. Das ist sehr ungewöhnlich für all die Coaches, die es gewöhnt sind, sehr zielorientiert zu arbeiten (wie z. B. NLPler). Die Absicht des Klienten drückt sich oft eher metaphorisch aus, z. B. über ein Bild oder eine gewisse Körperhaltung. Es kommt weniger auf eine konkrete Formulierung des Ziels an, sondern dass eine starke emotionale Resonanz entsteht – wie der Sog, den der Held verspürt, wenn er seinen Ruft hört…
  • Wie gerade schon angedeutet: Generatives Coaching nutzt nicht nur die verbale Sprache (das Ausdrucksmittel unseres bewussten Verstandes), sondern setzt bewusst auf die Ausdrucksmittel der Teile unseres Gehirns, die evolutionsgeschichtlich viel älter und damit viel mächtiger sind: die Sprache der Bilder, der Gefühle, des körperlichen Ausdrucks.
  • Generatives Coaching arbeitet viel mit (vermeintlichen) Gegensätzen wie Bewusstsein und Unterbewusstsein, Entspannung und Konzentration, Zentrieren und Sich-Öffnen etc. Im Gegensatz zum üblichen westlichen Denken geht es hier nicht darum, sich für einen der beiden Gegensätze zu entscheiden. Sondern beide Pole spannen einen Raum unendlicher Möglichkeiten auf, die uns allen offen stehen, um auf kreative Weise unsere Ziele zu erreichen.

Das sind nur einige Aspekte eines umfassenden Konzepts. Wenn Sie jetzt verwirrt oder neugierig sind (oder beides?), empfehle ich Ihnen den Blogartikel meines Kollegen und Mit-Teilnehmers Harald Berenfänger. Er schildert sehr anschaulich, wie er über unsere Ausbildung in Köln erlebt hat. Besser könnte ich es auch nicht beschreiben. ☺ https://www.berenfaenger.com/blog/persoenlichkeit/wahrhaftig-zauberhaft-generatives-coaching-mit-robert-dilts-und-stephen-gilligan/. Der Artikel ist auch in englischer Sprache verfügbar: https://www.berenfaenger.com/blog/persoenlichkeit/truly-magical-generative-coaching-with-robert-dilts-and-stephen-gilligan/

Doch nun zurück zu unserem Zertifizierungstag in Köln: Robert Dilts und Stephen Gilligan haben ihren Ruf gehört und sich auf die Reise gemacht. „Mein Traum war immer, ein weltweites Coaching-Programm zu unterrichten“ sagt Robert. Er zeigt auf Stephen: „Und ich wollte es mit diesem Kerl hier machen.“ Die beiden umarmen sich, und wahrscheinlich verdrückt der eine oder andere im Raum – wie ich – ein Tränchen…

Robert Dilts und Stephen Gilligan haben die Welt des Coachings fachlich enorm bereichert. Vor allem aber sind sie uns allen ein großes Vorbild an Menschlichkeit. Diesen beiden Kerlen helfen wir gerne dabei, ihren Traum zu verwirklichen!

Buchtipps:

  • Stephen Gilligan und Robert Dilts: Die Heldenreise: Auf dem Weg zur Selbstentdeckung – Junfermann, 2013
  • Stephen Gilligan: Generative Trance: Das Erlebnis kreativen Flows – Junfermann, 2014
  • Robert Dilts: Professionelles Coaching mit NLP: Mit dem NLP-Werkzeugkasten geniale Lösungen ansteuern (original: From Coach to Awakener) – Junfermann, 2005
  • Joseph Campbell: Der Heros in tausend Gestalten (original: The Hero with a Thousand Faces) – Insel, 2011

Fotos:

  • Zwei Helden auf der Reise: Robert Dilts und Stephen Gilligan - Fotograf: Harald Berenfänger
  • Annette frisch zertifiziert zwischen zwei "großen Brüdern" - Fotograf: Alex Roca