Die Spiegelneuronen: Ein uraltes Nervensystem ist plötzlich „en vogue“

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Was macht der Mann mit dem riesigen Spielzeugaffen auf dem Arm? Ein Fall von spontaner Altersregression? - Weit gefehlt! Der Mann ist Prof. Dr. Winfried Siffert vom Universitätsklinikum Essen und der Affe (der übrigens den klangvollen Namen „Plüti“ – für „Plüschtier“ – trägt) hilft ihm zu demonstrieren, wie es zu der Entdeckung der Spiegelneuronen kam.

Das geschah in den neunziger Jahren an der Universität Parma im Forschungsteam des Neurophysiologen Giacomo Rizzolatti. Dessen akademische Karriere begann dereinst in Padua, nur wenige Kilometer entfernt von Abano Terme, wo ich jetzt mit einem Dutzend weiterer Teilnehmer in einem Klosterraum schwitze.

Wir trotzen den hochsommerlichen Temperaturen und den lautstarken Zwischenspielen vom Glockenturm der Klosterkirche, um uns wissenschaftlich auf den neuesten Stand bringen zu lassen.

IMG 2957Wie fast jedes Jahr in den letzten sechs Jahren stand bei mir in diesem Sommer wieder mal das Metaforum Sommercamp in Italien auf dem Programm: Auftanken, gute Gespräche führen und mich dabei „ganz nebenbei“ weiterbilden – und das alles im stimmungsvollen Ambiente des Klosters San Marco.

Diesmal war meine Wahl auf den Kurs „Neuronale Netze, Embodiment und die Kunst des Denkens“ gefallen. Nachdem die Spiegelneuronen seit einigen Jahren „in aller Munde“ sind und fast jeder, der sich auch nur entfernt für Psychologie, Coaching oder Kommunikation interessiert, sie zumindest dem Namen nach kennt, wollte ich endlich mal genau wissen, was eigentlich dahinter steckt.

Also zurück zur Entdeckung dieser „Wunder-Nerven“: Ein Affe ist zu Forschungszwecken mit seinem Gehirn mittels Elektroden an ein Messgerät angeschlossen. (Dies ist für das Tier übrigens völlig schmerzfrei, obwohl es im Gegensatz zu „Plüti“ ein lebendes Wesen ist.) Das ursprüngliche Ziel der Versuche war zu messen, welche Neuronen aktiv werden, wenn der Affe eine bestimmte Handlung ausführt – z. B. nach einer Erdnuss zu greifen. In der Mittagspause, in der man aus Zeitgründen das Tier am Messgerät belassen hatte, passiert nun folgendes: Der Affe sieht, wie einer der Wissenschaftler nach einer Erdnuss greift. Er selbst tut dabei gar nichts. Trotzdem – oh Wunder! – werden in seinem Gehirn dieselben Nervenzellen aktiv, als würde er selbst nach der Erdnuss greifen!

Die Wissenschaftler glaubten zunächst an einen Fehler ihrer Messapparatur. Dann gingen sie der Sache mit einer Reihe von Experimenten auf den Grund. Das verblüffende Ergebnis: Immer wenn wir sehen, dass jemand anders eine Bewegung macht, machen wir sie im Geiste mit! Wer schon einmal im Fernsehen ein Fußballspiel seiner Lieblingsmannschaft verfolgt hat, wird das bestätigen können. Dafür sorgt im Gehirn der sogenannte „prämotorische Cortex“, der für die Planung von Bewegungen zuständig ist. Das heißt: Sehen wir jemanden ein Bewegung machen, „planen“ wir sie unwillkürlich mit. Zum Glück müssen wir diese Planung aber nicht zwangsläufig in die Tat umsetzen: Zwischen den „prämotorischen Cortex“ und den „motorischen Cortex“ (der für die Ausführung der Bewegung zuständig ist) „funkt“ unser „freier Wille“, der im vorderen Stirnbereich angesiedelte „präfrontale Cortex“. Er steuert unsere kognitiven Entscheidungen. Also bleiben wir meistens im Fernsehsessel sitzen und kicken nicht mit.

Aber manche Tätigkeiten sind einfach ansteckend: Fast jeder hat schon einmal einen Mitmenschen gähnen sehen und konnte sich – wenn überhaupt – nur mühsam dem Impuls entziehen, selbst auch zu gähnen. Eine Menge andere Handlungen haben ebenfalls einen fast unwiderstehlichen Imitationszwang wie z. B. Lächeln, Zuwinken oder Händeschütteln. Das haben wir im Seminar in Gruppenübungen selbst erfahren können: Jeder von uns konnte ausprobieren, wie schnell man sein Gegenüber mit seinem Lächeln anstecken kann – selbst wenn der Andere das eigentlich gar nicht will! Dabei steigt die Stimmung in der Gruppe und man lernt sich gegenseitig besser kennen.

IMG 2887Eigentlich sind die Spiegelneuronen also alte Bekannte: Es handelt sich um die Nervenzellen im Gehirn, die für die Planung und Steuerung unserer Bewegungen zuständig sind. Neu ist allerdings die Entdeckung ihrer zusätzlichen Funktion: Sie werden nicht nur aktiv, wenn wir selbst eine Handlung planen und ausführen, sondern sie „planen“ auch mit, wenn wir eine Handlung bei jemand anders sehen.

Auch wenn diese Funktion des prämotorischen Cortexes erst spät entdeckt wurde, war doch schnell ihre unschätzbarer Bedeutung für Evolution und Überleben des Menschen klar: So ist sie z. B. unerlässlich für das Lernen durch Imitation. Und sie ist die Voraussetzung für Empathie: Sehen wir den Gesichtsausdruck eines Menschen, werden über die Spiegelneuronen bei uns die entsprechenden Muskelgruppen aktiviert und wir machen den Gesichtsausdruck mit – wenn auch vielleicht nicht sichtbar, sondern nur „prämotorisch“. Und nun folgt das nächste Wunder: Mittels Rückkopplung entsteht die gleiche Emotion auch in unserem Körper! Wenn wir jemanden lächeln sehen, werden wir auch ein stückweit fröhlich; wenn jemand traurig ist, werden wir es auch ein bisschen – und wissen dadurch sofort, wie es dem anderen geht. Dafür sorgen die Spiegelneuronen.

Vor allem in den frühen Stadien der menschlichen Entwicklung, als die Sprache noch nicht weit entwickelt war, war dies oft die einzige Möglichkeit herauszufinden, wie es einem anderen geht. Das war wichtig für den Zusammenhalt in der Gruppe und auch für das eigene Überleben (Sehe ich Angst bei meinem Mitmenschen, ist vielleicht Gefahr im Verzug.). Bei der Begegnung mit anderen Artgenossen konnte man mit Hilfe der Spiegelneuronen schnell herausfinden, ob sie einem freundlich oder feindlich gesonnen waren.

Auch bei uns Teilnehmern haben die Spiegelneuronen dafür gesorgt, dass wir in den zwei Seminartagen viel Spaß miteinander hatten. Gleichzeitig wurde uns klar, dass die Wissenschaft hier erst am Anfang steht: Manche Forschungsergebnisse scheinen fast banal (Wussten wir nicht vorher schon, dass die meisten Menschen zurücklächeln, wenn wir sie anlächeln?). Aber es ist wichtig, dass das, was wir intuitiv zu wissen glauben, nun wissenschaftlich erforscht und in seiner Wirkungsweise erklärt wird. Damit wird es auch den Skeptikern leichter zugänglich. So lässt sich z. B. die NLP-Technik des „Pacing und Leading“ nach über 40 Jahren nun anhand der Spiegelneuronen erklären.

Zum Schluss noch ein kleiner Tipp, wie Sie sich selbst die Wirkung der Spiegelneuronen ganz schnell zunutze machen können: Wenn es mal nicht so gut läuft und Sie ein wenig traurig oder verärgert sind, ziehen Sie einfach die Mundwinkel hoch! Es muss noch nicht mal ein „echtes“ Lächeln sein! Wenn man das ein paar Sekunden festhält, ist es fast unmöglich, dabei noch negative Gefühle aufrecht zu erhalten. Die hochgezogenen Mundwinkel melden dem Gehirn „Ich freue mich!“, und Ihre Stimmung steigt automatisch! Probieren Sie es aus! Viel Spaß dabei! ☺

Lesetipps:

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Autorin: Annette Held
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